Erhalt der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz

In der Verwaltungsgemeinschaft Gernrode/Harz hatten die Fraktionen der SPD (Bad Suderode) und CDU (Gernrode/Harz) zu einer Diskussionsrunde zum Thema „Welche Chancen hat eine Einheitsgemeinde Gernrode/Harz?“ eingeladen. Als „Experte“ nahm Innenstaatssekretär Rüdiger Erben daran teil. Anwesend waren auch die Bürgermeister Eberhardt Heintze (Westerhausen), Malte Köpp (Neinstedt) und Thomas Balcerowski (Thale). Speziell für die VG Gernrode/Harz schloss er die Bildung einer Verbandsgemeinde aus, weil in Gernrode 41% der Einwohner wohnen sowie die Verwaltungsgemeinschaft nur 9.450 Einwohner hat. Er könne sich aber vorstellen, dass sein Minister eine Einheitsgemeinde trotz der Einwohnerzahl unter 10.000 in der freiwilligen Phase genehmigen würde. Wir müssten uns aber schnell entscheiden. Die Richtung war klar, es sollte Angst erzeugt werden. Bei einigen, besonders CDU und SPD Mitgliedern, scheint das auch Wirkung erzielt zu haben. Alle Gegenargumente der Fragensteller wurden vom Tisch gewischt und die Einheitsgemeinde als das „allein selig machende“ hingestellt. An vorderer Stelle bei der Bildung von Einheitsgemeinden steht die Umwandlung von Verwaltungsgemeinschaften in Einheitsgemeinden im Verhältnis 1 : 1. Einem Herausbrechen von Kommunen aus den Verwaltungsgemeinschaften würde die Landesregierung nur zustimmen, wenn dadurch die Bildung einer angedachten Einheitsgemeinde nicht gefährdet wird, egal welche Entscheidungen in der Gemeinde bei einer Bürgernefragung getroffen wurden. Es fielen dabei die Namen Stecklenberg, Altenbrak, Treseburg und Schierke.
Nicht verwundert ist man über die Berichte in der Mitteldeutschen Zeitung, die mit den Schlagzeilen
-         „Freiwilligkeitsphase wird empfohlen“,
-         „Brecht will werben für Eingemeindung“
-         „Die Zeit drängt schon“ und
-         „Fahrplan jetzt festlegen“
erschienen. Gab es nicht auch andere Meinungen bei dieser Veranstaltung in Gernrode? Aber diese Erfahrung musste auch die Landtagsfraktion der FDP machen, die eine bezahlte Anzeige in Tageszeitungen schalten wollte. Ihr Inhalt war:
„CDU-SPD Koalition im Landtag `entlassen´ 8.000 ehrenamtliche Bürgermeister und Gemeinderäte und erzwingt Einheitsgemeinden.
Es stimmte dafür
-         Jürgen Stadelmann (CDU),
-         Uwe Harms (CDU),
-         Jürgen Barth (SPD,
es stimmten dagegen
-         Lutz Franke (FDP),
-         Hans-Jürgen Krause (DIE LINKE).“
So viel zur Berichterstattung einer Zeitung, unter deren Überschrift „überparteilich und unabhängig“ steht. Es gibt eigentlich zwei wichtige Gründe, dass die Landesregierung mit aller Macht ohne Rücksicht auf die Bevölkerung der eingemeindeten Orte diese Gemeindegebietsreform durchziehen will:

  1. Obwohl in den Zeitungen durch die Landesregierung einerseits verbreitet wird, dass die Kommunen in letzter Zeit enorm gestiegene Einnahmen haben, spricht sie anderseits davon, dass die finanzielle Situation immer schlechter wird. Diese angenommene schlechtere Lage zwingt angeblich dazu, dass die Fördermittel in Grund-, Mittel- und Oberzentren konzentriert werden müssen. Welche Mittel erhalten dann wohl die eingemeindeten Kommunen? So gut wie keine, denn die Einwohner können ja die Einrichtungen im Grundzentrum nutzen. Herr Erben sagt natürlich die Wahrheit, wenn er behauptet, die Landesregierung schließt keine Kindertagesstätte, keine Schule und keine Freiwilllige Feuerwehr in den eingemeindeten Kommunen. Die schmutzige Arbeit überlässt er den Gemeinderäten der Einheits- bzw. Verbandsgemeinde, erzwungen durch Auflagen der Kommunalaufsicht. Das konkrete Beispiel hatten gab es im vergangenen Jahr in der Gemeinde Rieder. Einen nicht beanstandeten Haushalt und damit den Bau der Durchgangsstraße  wurde erst genehmigt, nachdem das technische Personal um 50 % reduziert worden war. Das bedeutete für die Bauhofmitarbeiter einen Verzicht auf ein Viertel ihres Lohnes und für die Reinigungskräfte die Auslagerung dieses Bereiches und ebenfalls den Verzicht auch auf Drittel ihres Lohnes. Ein ähnliches Beispiel kennt die Gemeinde Friedrichsbrunn, der bei einem finanziellen Engpass die Schließung von Grundschule oder Kindertagesstätte vorgeschlagen wurde. Genau auf diese Art und Weise würde die Kommunalaufsicht die Schließung von Schulen, Kindertagesstätten und Feuerwehren in einer Einheitsgemeinde erzwingen. Ein weiterer Verlust besteht darin, dass das gesamte Eigentum der Gemeinde den Einwohnern von Rieder unwiderruflich und entschädigungslos entzogen wird. Dieser Vorgang ist unter dem Begriff entschädigungslose Enteignung bekannt.
  2. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nach dem Prinzip der „unmittelbaren Demokratie“, sondern dem der „repräsentativen Demokratie“ aufgebaut, das heißt, dass im Wesentlichen die Parteien Kandidaten auswählen, die dann z. B. im Bereich der Kommunen für 5 bzw. 7 Jahre gewählt werden. Sie müssen sich dann nicht an ihre Wahlversprechen halten, sind nur „ihrem Gewissen“ verantwortlich und können während dieser Zeit nicht abgewählt werden. Dieses System wird aber dadurch untergraben, dass immer mehr Bürgerbewegte in die Kommunalparlamente drängen. In der Gemeinde Rieder  sind von 27 ehrenamtlich Tätigen nur 3 Parteimitglieder, und diese Tendenz beginnt sich in den Kreistagen fortzusetzen. Wie viele parteilose Bürger würden wir in einer Einheitsgemeinde Gernrode oder noch schlimmer Quedlinburg wiederfinden? Und was passiert mit den Anderen? Hier wird man das Gefühl nicht los, dass Parteien befürchten, ihren Einfluss in den unteren Ebenen zu verlieren. Denn 100 Bür-germeister von großen Einheitsgemeinden, die zum großen Teil parteigebunden sind, wie es auch im Landkreis Harz ist, lassen sich leichter steuern als 1000 Bürgermeister mit ihren Zehntausenden Gemeinderäten und sachkundigen Einwohnern, von denen ein großer Teil keiner Partei angehört.
Auch die versprochenen 200.000 € Kopfprämie bei der freiwilligen Bildung einer Einheitsgemeinde würden nicht viel weiter helfen, denn sie würden nicht einmal die Hälfte des jährlich anfallenden Defizits des Kurzentrums in Bad Suderode decken. Die Bemerkung von Herrn Erben, dass diese Situation auf einem anderen Blatt steht, kann nicht beruhigen. Beruhigt hätte die Aussage, dass die Landesregierung ständig das fehlende Defizit trägt oder die Einrichtung übernimmt.
Deshalb wird die Volksinitiative weiterarbeiten, die sich für die Freiwilligkeit bei der Bildung von Einheits- bzw. Verbandsgemeinden und den Erhalt der qualifizierten Verwaltungsgemeinschaften einsetzt. Es kann nicht sein, dass man effizient arbeitende Verwaltungsgemeinschaften einfach per Gesetz abschafft, ohne die Einwohner zu befragen. Gegenwärtig versucht die Volksinitiative durch den Verkauf von Aufklebern zum Preis von 0,50 € auf sich aufmerksam zu machen. Sie sind neben Spenden bisher die einzige Einnahme zur Finanzierung der Ausgaben. Weitere Vorhaben sind
-        die Vorbereitung einer Verfassungsklage gegen das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform,
-        die Beratung der Volksinitiative über weitere Aufgaben am 29.03.2008 in Langenstein,
-        die Vorbereitung eines Volksentscheides im 2. Halbjahr 2008.
Jetzt sollte keiner in Panik verfallen und Beschlüsse fassen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können und das Leben der nächsten Genrationen nachhaltig beeinflussen werden. Je mehr Gemeinden sich diesem Zwangsgesetz widersetzen, desto größer ist die Chance, dass der Kampf gewonnen wird, denn ein entsprechendes Gesetz zur Eingemeindung von mehreren hundert Gemeinden müsste in der Nähe der nächsten Landtagswahl beschlossen werden und würde doch bei einer namentlichen Abstimmung so manchen Landtagsabgeordneten zum Überlegen zwingen.
Zum Abschluss dieser Ausführungen noch 6 Punkte aus einem Brief, den 8 Professoren aus Essen, Frankfurt am Main, Hannover, Kiel, Paderborn, Stuttgart und Trier bereits im Jahre 1990 an den damaligen Landrat von Roßlau gerichtet und Bedenken geäußert haben und denen vollinhaltlich zustimmt werden muss:
„Die wichtigsten Argumente gegen eine radikale Reduzierung der Zahl der Gemeinden bzw. gegen Einheits- und Großgemeinden lauten:                                                                      
-         der gravierende Rückgang an Chancen zu bürgerlich-demokratischer Mitwirkung,
-         die fatalen Auswirkungen auf die Identifikation der Bürger mit ihrem `enteigneten´ Ort,
-         zu große Bürgerferne von Kommunalpolitik und -verwaltung,
-         mangelnde Repräsentation und damit Mangel an lokaler Kompetenz aus dem einge-meindeten
Orten in den politischen Gremien der Großgemeinde,
-         einseitige Förderung des Gemeindehauptortes zu Lasten der eingemeindeten Dörfer,
-        der Ruf nach `Rückgemeindung´ wird hierzulande immer lauter, wie zahlreiche Umfragen
bestätigen.“
Durch die Landesregierung wird hier eine Politik betrieben, die sich immer weiter von der direkten Demokratie durch Entscheidungen direkt vor Ort entfernt, denn Bürgerentscheide und Bürgerbegehren werden auch nicht wesentlich erleichtert, und immer mehr zur repräsentativen Demokratie, in der Wenige Entscheidungen fällen und gegen eine Mehrheit vor Ort durchsetzen können, führt.

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