Sieg der Demokratie?
Die eigentlichen Ziele der Gemeindegebietsreform waren:
Erstens – das Prinzip der Freiwilligkeit sollte dominieren und die kommunalen Mandatsträger sollten gestärkt werden. Bei der Gemeinde Rieder wird nach 1994 zum zweiten Mal dagegen verstoßen.
Zweitens – es sollten die Leistungsfähigkeit und Verwaltungskraft gestärkt werden, damit substanzielle Aufgabenübertragungen möglich sind. Mittlerweile liegen insgesamt 52 Gemeinden unter der Zielstellung von 10.000 Einwohnern, 12 sogar unter 8000. Die Einheitsgemeinde wäre also nur die 13. Ausnahme.
Drittens – es sollten die landsmannschaftlichen, religiösen und kulturellen Besonderheiten berücksichtigt werden. Die Gemeinde Rieder ist schon immer eine anhaltinische Gemeinde.
Viertens – es sollten die bestehenden Verwaltungsgemeinschaften 1 zu 1 in Einheitsgemeinden umgewandelt werden, sofern eine Gemeinde prägender Ort und Grundzentrum ist. Trifft für die Stadt Gernrode zu.
Fünftens – sollte durch die Gebietsreform eine wesentliche Straffung der Verwaltungs- und der Entscheidungsabläufe erreicht werden. Mit der Zulassung von Verwaltungsaußenstellen, der Änderung der Kommentierung der Gemeindeordnung bezüglich einer umfassenden Beteiligung der Ortschaftsräte an allen Gemeindeangelegenheiten sowie die Übergangsregelungen für vorhandenes Verwaltungspersonal werden diesem Ziel erhebliche Hürden aufgebürdet.
Sechstens – sollten die Wirkungsbedingungen der gewählten Mandatsträger und der Bürgerinnen und Bürger wesentlich erweitert und verbessert werden. Eventuell können 2 der bisher 13 Mandatsträger weiter im Stadtrat mitwirken, die sachkundigen Einwohner aber nicht.
Siebtens – sollten die Haushaltssituationen der neuen Einheitsgemeinden nachhaltig gestärkt werden. Die Verschuldung der Städte und Gemeinden wird auf mehrere Schultern verteilt, damit sinkt der Durchschnitt der Verschuldung im Gemeindegebiet. Die Gemeinden verlieren aber die Chance, über den Bedarfsausgleich des Landes Unterstützungen zu erhalten.
Nunmehr nach über 10 Jahren hat sich die Mehrzahl der Gemeinden „freiwillig“ neu gebildet, durch Zuordnung werden jetzt die restlichen 219 Kommunen einer „erfolgreichen zukünftigen Entwicklung“ zugeführt. Vorgelagert waren die umfangreichen Anhörungen am 6. und 7. Mai 2010 zu den einzelnen Zuordnungsgesetzen. Wer jedoch annahm, dass die vorgetragenen Argumente einer fachlichen Bewertung seitens der Koalitionsfraktionen unterzogen wurden, wurde herb enttäuscht. Lediglich zum Begleitgesetz fand auf der Klausurtagung des Innenausschusses am 3. und 4. Juni 2010 ein kurzer inhaltlicher Diskurs statt. Eine an hand von objektiven Fakten nachvollziehbare Begründung der Zuordnung von Gernrode, Bad Suderode und Rieder, wurde nicht vorgetragen. Diese Situation wurde jedoch durch die oberste Kommunalaufsichtsbehörde durch die Genehmigung der Zuordnung der Gemeinden Friedrichsbrunn und Stecklenberg nach Thale entgegen den rechtlichen Bestimmungen erst herbeigeführt. Die Einwohnerzahl liegt zwar unter der magischen 8.000, jedoch erheblich über der der bestandsgeschützten Stadt Falkenstein, die per 31.12.2008 noch 5.942 Einwohner ausweist. Im Übrigen wurden auch bei der Stadt Nienburg Ausnahmen von der Regel zugelassen. Eine Begründung der unterschiedlichen Handlungsweisen gibt es nicht. Auch nützt es uns nicht, wenn Vertreter der Koalition sagen, dass, wie im Fall Gernrode, rechtswidrig verfahren wurde, eine Korrektur jedoch politisch ausgeschlossen wird. In vielen Fällen wurden die Ausnahmen zur Regel gemacht und das Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz sowie das erste Begleitgesetz faktisch ausgehebelt.
Natürlich sind unsere drei Kommunen schwer enttäuscht von dieser Entscheidung des Landtages. Auch weil in der ersten Fassung des Gesetzentwurfes durch die Beamten im Innenministeriums formuliert war „Letztlich drängen sich für eine Zuordnung der Stadt Gernrode und der Gemeinde Bad Suderode und Rieder in das Mittelzentrum Quedlinburg auch sonst keine Gründe des Gemeinwohls auf“. Ich war bisher immer der Meinung, dass das „Gemeinwohl“ ein objektiver Begriff ist, aber scheinbar scheint jeder sein eigenes „Gemeinwohl“ zu besitzen. Letztlich kann man daraus eigentlich nur die Schlussfolgerung ziehen, dass das Gemeinwohl der Bürger bei den Entscheidungen der Landtagsabgeordneten der Regierungsparteien keine Rolle mehr spielt und nur nach politischen Vorgaben der Parteien Entscheidungen gefällt werden.
Ich kann heute aber feststellen, dort wo es Verlierer gibt, gibt es natürlich auch Gewinner. Gewinner ist eindeutig die Stadt Quedlinburg und ihr Bürgermeister Herr Dr. Brecht und damit ist auch die Freude und Erleichterung in diesem Bereich verständlich. Wer würde sich nicht über den Zuzug von 7743 Einwohnern freuen, die ein erhöhtes Steueraufkommen sowie erhöhte Zuweisungen sicherstellen, die das Vermögen der Stadt vergrößern und aus einem Bürgermeister wieder einen Oberbürgermeister werden lassen. Die Antwort auf die Frage, welche Folgen hat das für die einzelnen zukünftigen Ortsteile kann gegenwärtig kaum beantwortet werden, denn sie hängt davon ab, wie großzügig der Stadtrat seine finanzielle Investitionen in den neuen Ortsteilen zulässt. Denn eines der wichtigsten Ziele der Gemeindegebietsreform ist eindeutig die finanziellen Mittel zu konzentrieren und fast nur noch Investitionen in den Grund- und Mittelzentren vorzunehmen. Die Prioritäten in Quedlinburg stehen eindeutig unter der Überschrift „Weltkulturerbestadt“, in Rieder dagegen unter „moderne Infrastruktur“. Ich höre schon heute die Verfechter dieser Reform spätestens in 5 Jahren sagen, dass sie das nicht gewusst haben, dass die Entwicklung in diese Richtung läuft und dass das nicht gewollt war. Dieses Gesetz soll eine Grundlage dafür bilden, dass die Vorstellungen des Demografiebeirates von Sachsen Anhalt, Günter Steinmann, Wirklichkeit werden. Er vertritt die Meinung, dass immer mehr Leute vom Land in die Stadt ziehen, dass eine Konzentration in Ballungsräumen und größeren Städten erfolgen wird und der ländliche Raum sich entleert. Deshalb sollte man die finanziellen Mittel auf die Städte konzentrieren und dort Straßen und Radwege bauen, denn in den Dörfern wären diese Ausgaben unsinnig. Deshalb sieht er die Schließung von Kindergärten auf dem Land und setzt sich für mehr freie Schulen in diesem Bereich ein. Dem können die Gemeinde Rieder und ihr Bürgermeister aber nicht folgen. Wir setzen uns weiter dafür ein, dass die Bevölkerung in unserer Kommune eine stabile Entwicklung nimmt und dass die Lebensqualität mindestens erhalten bleibt, nach Möglichkeit sich aber verbessert. Deshalb werden wir unsere Bestrebungen zu einer positiven juristischen Entscheidung zur Bildung der Einheitsgemeinde Gernrode/Harz nicht einstellen, denn dazu wurden alle drei Gemeinden durch entsprechende Beschlüsse legitimiert.